
Ein letzter rotgoldener Sonnenuntergang vor Bora Boras windstiller Lagune, dann, mit dem ersten Tageslicht, brechen wir auf. Die Wasser- und Treibstoffvorräte sind aufgefüllt, die Papiere abgestempelt, frisches Obst und Gemüse lagern im Kühlschrank. Unser Ziel ist das 1’300 Seemeilen entfernte Tonga. Es wird eine Reise unbestimmter Dauer, weil wir unterwegs noch Zwischenstopps einlegen und das Wetter uns herausfordert.
Sonnenuntergang über Maupiti von Bora Bora aus betrachtet | Morgendämmerung über Bora Bora
Pass für Fortgeschrittene
Nach rund neunzwanzig Stunden erreichen wir das Atoll Maupiha’a. Ein Buckelwal taucht neben uns ab, sein Blas schiesst pfaufend in die Luft. Der Pass, der durch das Riff in die Lagune führt, ist ein Fall für fortgeschrittene Langfahrer:innen. Eine halbe Meile lang, gewunden und an der schmalsten Stelle keine drei Schiffslängen breit, braucht die Durchfahrt auch bei besten Bedingungen Konzentration und Nerven. Die Riffkante bricht seitlich steil ab und die auslaufende Strömung beträgt selbst bei Hochwasser noch drei Knoten.
Auf allen Seiten des Atolls preschen die Wellen des Pazifiks gegen das Saumriff und füllen die Lagune stetig mit frischem Meerwasser. Der schmale Pass ist der einzige Ort, wo das Wasser wieder abfliessen kann. Mit zunehmendem Seegang auf dem offenen Ozean steigt die Strömung im Pass beachtlich.
ALOY im Pass | Strudelndes Wasser im Pass
Maupiha’as Familie
Maupiha’a wird von vier Menschen dauerhaft bewohnt. In einem zweigeschossigen Haus mit mehreren kleinen Nebengebäuden leben Faimano, ihre Mutter Adrienne und ihr kleiner Sohn Teunu. Einige Gehminuten entfernt hat Faimanos Onkel Harry sein Zuhause. Die nächstgrössere Wohngemeinde ist das einhundert Seemeilen entfernte Maupiti. Segler:innen, Fischer und Perlfarmerinnen schauen ab und zu vorbei, bringen benötigte Güter mit und leisten der polynesischen Familie Gesellschaft.
Adrienne und Faimano (Fotos 1-3 von Chris SY FAR OUT) | Adrienne grilliert | gemeinsam beim Abendessen | ein Zuhause auf Maupiha'a
Am Tag nach unserer Ankunft stellen wir uns bei den Anwohner:innen vor und bringen als Gastgeschenk Mehl, Zwiebeln und Konserven mit, die gerne angenommen werden. Wir werden gleich für den Abend zum gemeinsamen Grillieren eingeladen, zusammen mit einigen anderen Crews, die wir inzwischen gut kennen. In den kommenden Tagen werden wir die kleine Familie regelmässig besuchen, gemeinsam kochen, essen und Boule spielen. Wir erhalten sogar eine Unterweisung in der Herstellung von Schmuck aus Muscheln und Seeigelstacheln.
Beim Boulespielen | Herstellen von Schmuck aus Muscheln | eine Fusskette als Geschenk von Adrienne
Gefangen im Atoll
Der Wind nimmt zu und eines Abends haben wir Mühe, mit den Dinghys vom Strand abzulegen. Die Heimfahrt wird eine nasse Angelegenheit, denn der Seegang steigt nicht nur auf dem Ozean draussen, auch in der Lagune bilden sich kleine spitze Wellen, die unsere Yachten auf und ab hüpfen lassen.
Am kommenden Tag, einem Sonntag, halten die Segler:innen Ankerwache in ihren behaglichen Kajüten, während es draussen windet und regnet. Rund zwölf Yachten liegen zusammengekuschelt in der ruhigsten Ecke der Bucht, direkt hinter einer schmalen Landzunge. Als wir uns, wegen einer kleineren Reparatur hinauswagen und zu TIPOTA hinüberfahren, streckt der eine oder die andere den Kopf aus einer Luke und winkt uns zu. Wir wechseln hier einen Gruss, dort ein paar Worte und uns wird bewusst, dass wir inzwischen alle die Yachten und ihre Crews kennen. Sie sind unsere Segelfamilie.
Abendstimmung auf ALOY | Sternenhimmel über Maupiha'a
Wir hatten ohnehin vor, auf mildere Windverhältnisse zu warten, bevor wir weitersegeln. Nun stellen wir fest, dass wir gar keine Wahl haben. Wegen des hohen Seegangs hat die Strömung im Pass auf sechs Knoten zugenommen und ihn in einen reissenden Fluss verwandelt. Es wäre viel zu gefährlich, diesen jetzt noch mit einer Yacht zu verlassen. Wir würden mit gegen zehn Knoten durch den gewundenen Flaschenhals gepresst, zum sicheren Manövrieren bliebe da keine Zeit. Wir sitzen also erst mal auf Maupiha’a fest. Es gäbe schlechtere Orte dafür…
Idylle auf Maupiha'a
Aufbruch
Am Donnerstag ist es endlich soweit. Die Strömung im Pass hat sich normalisiert und die Windprognosen sehen annehmbar aus. Wir haben die Wartezeit für Arbeiten am Boot genutzt: Unterwasser reinigen, Segel reparieren, Material verstauen. Da es bereits über eine Woche her ist, dass wir unsere Lebensmittel und Wasservorräte aufgestockt und die vielen Festessen an unseren Vorräten gezehrt haben, verspüren wir das Bedürfnis, vor der Weiterfahrt noch einmal Proviant anzulegen. Natürlich gibt es hier keinen Laden. TIPOTA füllt freundlicherweise unsere Wasservorräte mit ihrem Wassermacher auf, als Frischeproviant müssen uns Kokosnüssen genügen.
Segelreparaturen | Kokosproviant
Gemeinsam mit fünf weiteren Yachten brechen wir am 11. September bei bestem Segelwetter auf und verbringen eine erste, recht angenehme Nacht auf See. In der zweiten Nacht flaut es ab. Bald schon ist es so komplett windstill, dass die See aussieht wie eine schimmernd blau lackierte Fläche. Nachts spiegeln sich die Sterne im Wasser, ein fantastischer Anblick! Nur das Dröhnen des Motors nervt. Treibenlassen ist allerdings gerade keine Alternative, denn inzwischen kündigt der Wetterbericht ein Tiefdruckgebiet an, das sich einige hundert Seemeilen vor uns zusammenbraut.
Glatte See bei Flaute
Im Chat diskutieren wir mit den anderen Crews intensiv die beste Taktik, um den Sturm zu umfahren. Eine Yacht zieht sogar einen Wetterexperten zu Rate. Schliesslich teilt sich die Flotte auf, unsere Tiny Fleet, bestehend aus ALOY, APNEA und SOVMORGON wählt die südliche Route, die übrigen drei schlagen einen Bogen nach Norden ein. Nun ist Schnelligkeit gefragt. Um nicht im Zentrum des Tiefs zu landen, müssen wir bis zum Aufziehen des Unwetters ausreichend Weg nach Westen gut machen. Wir treiben ALOY voran.
Sturmfurcht
Der Wind lässt zum Glück nicht mehr lange auf sich warten. Wir setzen alle drei Segel, Gross, Genua und Fock, und halten Kurs 265°, an den südlichen Cook Inseln vorbei Richtung Beveridge Reef. Am vierten Tag auf See nimmt der Wind wieder zu, die Wellen werden höher, René wird seekrank. Die Wetterprognose verschlechtert sich insofern, dass sich das voraussichtliche Zentrum des Tiefs weiter nach Südwesten verlagert. Wir müssen noch mehr Strecke heraussegeln.
Wettervorhersagen für den 18. September, links vom 12. Spetember | rechts vom 13. September
Die vielen Wetterberichte und die Chatdiskussionen über Wellenhöhen und Amplituden machen mich ganz nervös. Haben wir die falsche Route gewählt? Hätten wir auch in den Norden segeln sollen? Oder noch tiefer in den Süden? Dann kommt der Moment, in dem mir klar wird, dass wir dem Unwetter ohnehin nicht mehr weiter ausweichen können, also bereiten wir ALOY auf Sturm vor, tauschen die Fock gegen die Sturmfock, reffen und bergen schliesslich das Grosssegel. Ich zurre das Dinghy noch besser an Deck fest, entferne die Sonnenschutzpanele vom Bimini, da sie zusätzliche Windangriffsfläche bieten, und versuche den ganzen Krempel im Salon gegen Herumfliegen zu sichern, letzteres mit eher unbefriedigendem Resultat. Schliesslich koche ich Essen vor, René liegt derweil leidend in der Koje.
Sturmfock und Genua gesestzt | tiefhängende Wolken | Regenwetter
Eine erste Nacht mit Regen- und Windböen holt uns ein und verläuft überraschend angenehm. «Alles nur halb so schlimm», meint René, insgeheim denke, hoffe, ich das auch. Aber der Wetterbericht meldet für die kommende Nacht Böen von vierzig bis fünfzig Knoten auf unserer Strecke und nur einen Längengrad östlich «Damaging Heavy Southerly Swells». Was wenn….? Ich bringe den Meeresgöttern zur Sicherheit noch ein Rumopfer dar.

Nach Mitternacht pfeift der Wind lauter im Rigg, erreicht aber nur gerade zweiunddreissig Knoten. Zusätzlich zur Sturmfock benötigen wir die Genua, um überhaupt voranzukommen. Die Wellen wachsen auf vier Meter Höhe, kommen aber genau von Osten, sodass ALOY mit eingezogenem Kiel bequem hindurchgleitet. Einmal zerdeppert eine Tasse im Salon und das wars dann auch schon. Wir haben es doch noch rechtzeitig aus der Sturmzone geschafft.
Beveridge Reef
Am kommenden Vormittag, nach einer Woche auf See, erreichen wir das Beverdige Reef. SOVMORGON liegt bereits vor Anker, APNEA erreicht uns gegen Abend, alle munter und unbeschadet. Die Nordroute war, wie wir nun hören, die schlechtere Wahl. Zwei der anderen Boote sahen sich genötigt, einen Notstopp bei Niue und den Cookinseln einzulegen, eine weitere segelt ohne Grosstuch nach Tonga weiter, weil die Rollreffanlage beschädigt ist.
Beveridge Reef | einsame Yacht im Beveridge Reef (Drohnenaufnahmen von Niklas SY SOVMORGON)
Das Beveridge Reef ist ein besonderer Ort, ein ringförmiges Riff mitten im Ozean, eine Art Atoll, dass noch keines ist. Hier gibt es ausser einer kleinen Sandbank kein Land und man sucht den Ort daher vergeblich auf Google Maps. Wir vernehmen, dass das Riff auch auf Seekarten bis vor wenigen Jahren nicht korrekt platziert war, was die zahlreichen Wracks erklären könnte, die in der Offshore Lagune zu finden sind.
Bei Niedrigwasser kann man hier recht angenehm vor Anker liegen, mit der Flut wird es allerdings unruhig, denn der vom Sturm aufgetürmte Schwell rollt dann teilweise über die Korallenbänke und zum Ankerplatz. Wir gönnen uns drei schaukelige Nächte zum Ausruhen und um die einzigartige Unterwasserwelt zu erkunden.
"Landgang" auf der Sandbank im Beveridge Reef
Am Innenriff wachsen so üppige Korallengärten, wie wir sie auf dieser Reise noch nirgends bewundert haben. Nach einer anstrengenden Schwimmübung gegen die Strömung sind wir plötzlich umringt von einem Wald aus Geweihkorallen. Dahinter liegen ganze Felder bestückt mit Riesenmuscheln in allen Farben, roten Griffelseeigeln und blau schimmernden Diademseeigeln.
Garten aus Geweihkorallen (Fotos 1-3) | türkise Riesenmuschel |Griffelseeigel | Diademseeigel (Foto 6-7)
Am Aussenriff tauchen wir durch ein Labyrinth aus hochaufragenden Korallenbrocken, wo uns ein grosser Adlerrochen und graue Riffhaie begegnen. Was die Fotos nicht festhalten können, ist der Eindruck, als würden diese majestätischen Tiere durch die Luft fliegen, denn das Wasser ist so klar, dass man es gar nicht wahrnimmt. Am meisten fasziniert uns aber das fünfzigminütige Konzert, dass die Buckelwale während unseres Tauchgangs geben.
René steht auf dem Sandgrund | Ester und René in der Unterwasserlandschaft | Grauer Riffhai | Dornkronenseestern
Tonga zum Geburtstag
Vom Riff aus ist es nur noch eine dreitägige Überfahrt bis nach Tonga. Diese verläuft ereignislos, wenn auch nicht besonders gemütlich. Der Seegang kommt breitseits und ist beachtlich, so dass vom Schlafen und Gehen, übers Kochen bis zum Zähneputzen alles mühsam ist, weil man ständig hin und her rollt und herumstolpert.

ALOY prescht durch die aufgewühlte See
Schliesslich ist es geschafft! Am 25. Oktober legen wir in Neiafu auf der tongaischen Insel Vava’u an, nachdem wir am Vorabend die Datumsgrenze überquert haben und einen Tag in die Zukunft gesprungen sind. Wir sind gerade rechtzeitig hier, um nach einer ausgeschlafenen Nacht Renés Geburtstag zu feiern. Die ganze Seglerfamilie versammelt sich zur Party im The Kraken. Sein Geburtstagsgeschenk? Eine unbewegt daliegende ALOY in komplett flachem Wasser.
Geburtstagskind | Geburtstagsparty im "The Kraken"
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