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Haie, Perlen und Partys

Es ist der 2. Juli als wir Fakarava erreichen, eines der weitläufigsten Atolle Polynesiens. Seine Lagune ist mehr als doppelt so gross wie der Bodensees. Der stolze, aus Korallenkalkstein erbaute Leuchtturm weist uns den Weg um das Nordostkap. In der Morgendämmerung rollen wir die Genua weg und tuckern durch den Nordpass und zum Hauptort Rotoava. Dort leben gut die Hälfte der rund 800 Bewohner:innen des Atolls. Ausserdem gibt es hier einen Flughafen, Hotels und einen Frachtschiffanleger. Ab und zu ankert ein Kreuzfahrtschiff vom Format Aranui in der Bucht.

Leuchtturm von Fakarava

Fakarava, Rotoava

Da sich das Dorf für einmal an der Luvseite des Atolls befindet, ist sein Ankerplatz äusserst behaglich. Bei Passatlage wird er von keinen Wellen, kaum Wind und entsprechend vielen Yachten heimgesucht. Tagsüber herrscht geschäftiges Treiben in Rotoava. Ausflugsboote und Dinghys rauschen durch den Ankerplatz. Am Anleger werden Crews, Touristen und Waren umgeladen, Fussgängerinnen, Fahrräder und das eine oder andere Auto bummelt über die Hauptstrasse. Auf dem Schulhof spielen trotz oder gerade wegen der Schulferien auffallend viele Kinder. Abends, wenn wir vom Cockpit der reglos daliegenden ALOY aus den Sonnenuntergang betrachten, weht gemütliche Musik vom Land her zu uns herüber, mal aus den Lautsprechern einer Bar, mal von einer Gruppe Kinder, die scheinbar für einen Anlass proben. Es ist ein Ort zum Verweilen.

Perlfarm | mit Perlbojen geschmückte Palmen | Wettertafel vor einem Hotel | Ausblick über die Bucht | Ankerplatz vor Rotoava

Perlzucht

Neben Kokosnüssen gedeiht auf Fakarava noch etwas Anderes ganz wunderbar: Austern. Diese werden allerdings nicht für den Verzehr gezüchtet, sondern für die Herstellung von Perlen. Im Ort gibt es mehrere Perlfarmen, die ihre Austernkörbe über weite Flächen im Atoll auslegen. Bei einer Führung erklärt uns ein Mitarbeiter der Havaiki Farm wie sie Perlen produzieren.

Zunächst erwerben die Perlzüchter Jungaustern, die bereits etwa eineinhalbjährig sind. Die Schwarzlippigen Perlmuscheln werden untersucht und pro zwanzig Stück wird eine ausgewählt, die eine besonders vielversprechende Perlmuttfarbe aufweist. Ihr wird Haut entnommen und in kleine Stücke geteilt. Bei allen anderen Austern erfolgt ein chirurgischer Eingriff. Ein Spezialist setzt eine kleine Kugel aus Muschelkalk sowie ein Stück der ausgewählten Haut in den Magen.

Öffnen einer Auster | Instrumente des Austern-Chirurgen | Kugeln aus Muschelkalk | Austern im Korb

Die präparierten Austern werden in Körben in der Lagune ausgebracht, wo sie mit frischem Wasser und Nährstoffen versorgt sind und wachsen. Dabei umhüllen die Austern den störenden Muschelkern in ihrem Magen mit Perlmutt. Das implantierte Hautstück prägt die Farbe der entstehenden Perle. Die Körbe schützen die Austern derweil vor Fressfeinden. Kommt ein Unwetter auf, holen die Züchter die Körbe ein, damit die kostbaren Tierchen nicht verloren gehen.

Rund eineinhalb Jahre dauert es, bis eine Auster die geforderten eins bis zwei Millimeter dicke Perlmuttschicht um den Kern aufgebaut hat. Dann können die Perlen geerntet werden. Die Austern werden dafür allerdings nicht einfach aufgebrochen, sondern erneut sorgfältig operiert. Einige der entnommenen Perlen sind echte Schmuckstücke, rund, makellos und mit schönem Glanz. In Austern, die eine hochwertige Perle hervorgebracht haben, wird ein neuer Kern implantiert. Die Kugel ist etwas grösser als die erste, weil sich das Tier an die gewachsene Perle gewöhnt hat. Zwei Jahre später bringt sie dadurch eine üppigere Perle hervor. Das ganze Prozedere kann bis zu fünf Mal wiederholt werden.

Das Austernlos

Die Perlen, die auf den Tuamotus gezüchtet werden, sind dunkel. Sie schimmern anthrazitfarben, bläulich, rosé oder dunkelgrün. Da die Schmuckperlen über Tahiti vermarktet werden, sind sie unter dem Begriff Tahiti-Perlen bekannt.

Im Rahmen der kostenlosen Führung konnten wir ein Los für eine Auster erwerben. Die ganze Tiny Fleet schaut gespannt zu, als ich meine Auster wähle. Ich bin die Einzige von uns, die sich ein Los geleistet hat. Der Perlzüchter öffnet meine Auster und fördert eine ziemlich grosse schwarzgrau schimmernde Perle hervor. Wir staunen. Sie ist wunderbar rund, wenn auch nicht perfekt glatt. Ester und Petunia eilen zur Rezeption, um sich ebenfalls ein Austernlos zu kaufen. In den kommenden Tagen fällt uns auf, dass viele Seglerinnen und Segler, die Fakarava besucht haben, eine Tahiti-Perle um den Hals tragen.

Entnahme "meiner" Perle | Perle als Schmuckanhänger

Tauchen am Nordpass

Gegen Mitte Juli versammeln sich mehr und mehr Yachten im Atoll, deren Crews wir bereits kennen. Da sind Ian und seine neue Freundin Tara auf dem Katamaran ISLA, Tash und Tim auf der MOODY RUDIE, Maggie und Markus auf ihrer ISLAND KEA und die TIPOTA-Crew. Ausserdem lernen wir den verrückten Franzosen Ben und ein junges australisches Pärchen kennen, das mit einer stilvollen Holzyacht unterwegs ist. Eine Schweizer Yacht, die wir noch aus Panama kennen, kreuzt erneut unseren Weg. Die pazifische Segelfamilie scheint überschaubar. Unter unseren Bekannten sind auffallend viele junge Leute. Wir verbringen gesellige Abende an Fakaravas Stränden und an Bord der verschiedenen Yachten.

Hin und wieder wechseln wir den Ankerplatz. Vom Dorf aus geht’s zum Nordpass, wo wir unsere Erfahrungen im Strömungstauchen vertiefen. Zusammen mit Ester und Niklas fahren wir unsere Dinghys ins Meer hinaus. Da der Pass besonders breit und das Wetter ruhig ist, stellt dies kein Problem dar. Die lokalen Tauchboote bieten eine Orientierungshilfe. Ist das schwere Tauchzeug einmal umgeschnallt, springen wir ins Wasser, tauchen ab, halten die Beiboote an einer langen Leine fest. Um uns herum ist alles blau, auch nach mehreren Minuten und auf zwanzig Metern Tiefe sehen wir nichts als tiefblaues Meer. Ich frage mich, ob wir an der falschen Stelle abgetaucht sind, bin aber gleichzeitig fasziniert von dieser Atmosphäre.

Tauchen ins Blaue | Das Riff am Nordpass

Langsam, ohne es zu spüren, driften wir mit der Strömung Passeinwärts. Erste Fische tauchen auf, Doktorfische und Thunfische, dann der eine oder andere Riffhai. Plötzlich wird Boden unter uns sichtbar, die rasch ansteigende Riffkante. Hunderte Grouper halten sich wenige Zentimeter über Grund in Position, Gesicht gegen die Strömung. Bald schon müssen wir unsere Tauchtiefe reduzieren, um über den wachsenden Korallen zu schweben. Der Grund des Passes ist kaum fünfzehn Meter tief und zerklüftet.  

Schwarm von Grossaugen Schnappern

Ich beobachte vielfältige Steinkorallen, Seesterne, eine elegant dahingleitende Muräne. Dann sehe ich, wie Ester vor mir von einem ganzen Schwarm Schnapper verschluckt wird, wenig später treibe ich selbst hinein. Es ist ein faszinierender Tauchgang und wir wiederholen ihn in den nächsten Tagen noch drei Mal, wobei wir jedes Mal einen anderen Spot im Pass erwischen. Die Tauchgänge dauern kaum zwanzig Minuten, denn die Strömung ist stark.

Seesterne | Muräne | Taucherin Illy mit Doktorfisch

Wall of Sharks

Das Tauchen ist der Hauptgrund, warum wir dieser Tage auf Fakarava sind. Auf der anderen Seite des Atolls, im Südpass, befindet sich die berühmte Wall of Sharks. Während die anderen noch eine Nacht im Norden verweilen, nehmen René und ich die dreissig Meilen dorthin unter den Kiel, navigieren in zwei Etappen wachsam durch die Perlfarmbojen und Untiefen hindurch. Der Ankerplatz, der uns erwartet ist unangenehm rollig und wir freuen uns, dass noch eine Muringboje frei ist, an der wir ALOY sicher vertäuen können. Erst vor wenigen Tagen, wir waren zum Glück noch am Nordpass, ist ein heftiger Squall mit Nordwestwinden übers Atoll gefegt und hat eine am Südpass verankerte Yacht stranden lassen. Die Geschichte ist bereits in aller Munde, als wir dorthin aufbrechen und wir sind entsprechend alarmiert.

Bevor wir unbedarft zu einem ersten Tauchgang aufbrechen, inspizieren wir den Südpass und unterhalten uns mit einigen Leuten. Es stellt sich heraus, dass die Tauchinfrastruktur gut ausgebaut ist. Es gibt Anlegestege, Tauchboote und eine Muringboje, an der wir auch unser Dinghy befestigen dürfen. Wir erfahren, wo man am besten ab, wo wieder auftaucht, um niemandem in die Quere zu kommen oder von der Strömung abgetrieben zu werden.

Bei Fakaravas Südpass | Hotel am Südpass (rechts)

Am nächsten Tag schliessen die anderen auf und wir tauchen gemeinsam zum ersten Mal in die Wall of Sharks. Erst sehen wir nur Korallen sowie viele Doktor- und Papagaienfische, doch dann erspähen wir die ersten Riffhaie. Bald schon sind es unzählige. Gemächlich und scheinbar völlig unbeeindruckt ziehen sie an uns vorbei. In einem grossen Kreis drehen sie ihre Runden durch den Pass. Sie sind über uns, unter uns, vor uns und hinter uns. Angeblich bildet die moderate Strömung in Fakaravas Südpass ein ideales Habitat für die Haie.

Riffhaie an der Wall of Sharks

Zwei Adlerrochen schweben zwischen der Wand aus grauen Riffhaien einher. Einige Weisspitzenriffhaie verharren am Grund. Schwarzspitzenriffhaie tummeln sich näher an der Wasseroberfläche bei den Pfahlhäusern der Tauchschule, wo ganze Schnapperschwärme und ein riesiger Napoleonfisch leben. Wir können sie beobachten, während wir dort unseren Safetystop von drei Minuten einlegen, bevor wir uns langsam um die Ecke ins Atoll hineintreiben lassen, zu einem flachen Sandstrand, wo es kaum noch Strömung gibt. Von hier aus kann man zu Fuss übers Motu zurück zum Riff laufen und die paar Meter zum Dinghy schwimmen.

René taucht in der Wall of Sharks | Ammenhai | Schwarzspitzen-Riffhai am Ufer | Schwarm von Buckel Schnappern | Gelbflossen Doktorfisch

Nach dem Tauchgang sind wir ganz aufgekratzt. Ester meint, es sei der tollste Tauchgang ihres Lebens gewesen. Ich bin ebenfalls begeistert. Die edlen, friedvoll dahinziehenden Haie faszinieren mich, ausserdem habe ich eine Schwäche für Rochen. René zuckt mit den Schultern. Das hält ihn aber nicht davon ab, die nächsten zwei Tage ebenfalls wieder in die Wall of Shaks einzutauchen.

Treues «Sinky»

Doch dann ist erstmal aus mit Tauchen. Als wir eines morgens aufwachen ist unser Dinghy einseitig platt. Unsere Untersuchung ergibt, dass das Problem am steuerbordseitigen Innenschlauch liegt, der sich im achterlichen Teil des Gefährts unter mehreren aufgeklebten PVC-Schichten verbirgt. Diese Schichten alle sauber abzulösen, den Schlauch zu flicken und anschliessend alles wieder zu verkleben, ist ein aufwändiges Unterfangen. Wir brauchen ordentlich Zeit, Strom für den Heissluftföhn und vor allem sehr viel Dinghy-Klebstoff. Von Letzterem haben wir keinen mehr, weil wir das Dinghy in den vergangenen Monaten bereits drei Mal flicken mussten. Zwei Tage später geht auch dem Backbordschlauch die Puste aus. Das tapfere alte Beiboot dümpelt schlapp hinter ALOYs Heck und wird bald von allen liebevoll «Sinky» genannt.

Traurig sehen wir, ein dass sich eine Reparatur kaum noch lohnt. Wir werden uns auf Tahiti nach einem Ersatz umsehen müssen. Dann spielt uns der Zufall in die Hände. Niklas und Ester fällt ein, dass sie noch ein altes Beiboot an Bord haben, ein recht ordentliches Gefährt, dass sie nur ausgewechselt hatten, weil sie ein Feststoffboden-Dinghy wollten. Wir werden uns rasch einig und voilà, ALOY ist wieder ausgerüstet.

"Sinky" ist platt

Mitsegler Tobi

Die am Südpass gestrandete Yacht baumelt inzwischen wieder am Anker, unweit von ALOY. Wir lernen Tobi aus Österreich kennen, der seit drei Jahren um die Welt trampt und vor einigen Monaten als Crew auf der NERIO angeheuert hat. Er berichtet, dass das schwer beschädigte Aluboot von einem Lastenkahn vom Riff gezogen werden musste. Der Skipper wartet nun auf ein Abschleppboot aus Tahiti und auf grünes Licht von der Versicherung, denn die Bergung der Yacht wird teuer. Wie lange das wohl dauert? Keiner weiss es. Tobi möchte aber zeitnah nach Papeete gelangen, um dort sein nächstes Segelboot zu erwischen, das ihn nach Tonga mitnimmt. Wir laden ihn ein, für die Strecke auf ALOY mitzusegeln und so wird er für eine gute Woche Teil der Tiny Fleet.

Tobi | Tiny Fleet Mitglieder Niklas, René, Ester, Petunia, Tobi (von links)

Floatchella

Bevor es allerdings nach Tahiti geht, fahren wir zum Nachbaratoll Toau. Die fünfzehn Meilen dorthin sind ein Katzensprung, der in einem Nachmittag zu schaffen ist. Auf Toau ist das Floatchella-Event geplant, eine Party für junge Crews. Wir treffen uns alle an einem passnahen Ankerplatz, wo uns Ian und Einhandseglerin Lauren ihre Pläne für die Partyplattform erklären und den geeigneten Ort und Tag bestimmen.

Am Morgen des 19. Juli lichtet Ians ISLA unter Glockengeläut den Anker und bricht zum Südostankerplatz auf. Eine Yacht nach der anderen folgt ihm in einer langsamen Parade. Alle fahren mit äusserster Vorsicht, um keinen der zahlreichen Korallenköpfe zu tuschieren. Am Zielort angekommen, beginnen die Katamarane damit, sich zu einem Floss zusammenzubinden. Erst wirft ISLA Anker, dann ein zweiter Kat daneben. Lauren und eine dänische Crew schliessen sich mit ihren grossen Beneteaus an. Wir Kleinen bilden eine zweite, gegenüberliegende Reihe mit SOVMORGON und APNEA in der Mitte. ALOY und MOODY RUDIE an den Seiten. Einmal fest verankert, bringen alle ihre Dinghys, Paddle Boards und Schwimmringe in die Mitte der beiden Plattformen. «Sinky» versieht seinen letzten Dienst als Brücke zwischen ALOY und den Katamaranen.

Zusammenbinden der ersten Yachten zu einem Floss | ALOY nähert sich dem Floss | fertige Plattform | Plattform von schräg oben | Parade zum Ankerplatz (Fotos von Floatchella Teilnehmenden)

Die ISLA dreht Musik auf. Den ganzen Nachmittag und Abend lang wird gefeiert. Wir baden, besichtigen gegenseitig unsere Boote, stossen mit Saft und Rumpunsch an, grillen und tanzen schliesslich auf ISLA in die Nacht hinein. Es macht richtig Spass! Das Wetter ist ruhig genug, dass wir es uns erlauben können, die Boote über Nacht vertäut zu lassen. Am kommenden Morgen bieten die Crews ihre bevorzugten Pancake-Variationen zum Probieren an.

Segelboote im Festtagskleid | Partystimmung | SOVMORGON im Abendlicht (Fotos von Floatchella Teilnehmenden)

Für uns ist es leider Zeit zum Aufbrechen, denn Tobi muss nach Tahiti und noch gibt es einen Hauch Wind, der uns hinbringen kann. Wir lösen die Leinen zum grossen Floss und dampfen leicht verkatert Richtung Pass.

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