
04:00 Uhr morgens, unter funkelnden Sternen segeln wir gemächlich nach Süden. Es ist die zweite squallfreie Nacht des Viertagestörns, herrlich ruhig. Ich reffe dennoch die Genua und zügle ALOY auf drei Knoten Fahrt hinunter. Für einmal wollen wir möglichst langsam sein. Unser Reiseziel sind die Tuamotu Atolle und dort ist alles eine Frage des richtigen Timings.
Die Tuamotus
Ein Atoll ist ein ringförmiges Riff, das eine Lagune umfängt. Es entstand um eine Vulkaninsel oder eine vulkanische Erhebung, die im Laufe der Zeit wieder im Meer versunken ist. Das lebendige Korallenriff wuchs stetig weiter und erhebt sich heute über den Meeresspiegel.

Atoll Amanu (Foto: Wikipedia)
Die Tuamotus liegen wie kleine umkränzte Seen mitten im Pazifik. Einige Atolle verfügen über Pässe, Unterbrüche im Riff, die breit und tief genug sind, damit ein Boot in die Lagune hineinfahren kann. Die Pässe sind zugleich auch der Zu- und Abfluss des Ozeanwassers, das dem Wechsel der Gezeiten unterliegt. Grosse Wassermengen pressen täglich durch die schmalen Zugänge, es herrschen starke Strömungen.

Pass des Atolls Amanu
Wir müssen achtgeben, dass wir einen Pass bei Slack-Zeit, also entweder bei Hochwasser oder bei Niedrigwasser durchfahren, wenn die Strömung am geringsten ist. Präzise Angaben zur Strömungssituation in den Pässen gibt es nicht, denn auch Wind und Seegang beeinflussen die tägliche Lage. Mittels einer App kann man die ungefähre Passagezeit ermitteln.
Amanu
Amanu, das erste Atoll, das wir ansteuern hat einen schmalen Pass, rund sechzig Meter breit. Wir erreichen ihn um 09:10 Uhr morgens, vierzig Minuten vor der berechneten Zeit und spähen hinein. Das sieht ruhig aus, also wagen wir es. Eine sachte Strömung drückt uns hinein, die Wasseroberfläche brodelt ein wenig. Dann ist ALOY auch schon drin. Yuppi! vielleicht ist das doch nicht so schwer.
Der Pass vom Ufer aus gesehen | sachte brodelndes Wasser
Mitten im Atoll liegt ein dreieckiges Riff, wo wir erst Mal Anker werfen. Die Fahrt dorthin führt an einigen Untiefen vorbei, die nicht alle kartiert sind. Das ist die nächste Herausforderung der Tuamotus, man soll nur bei gutem Tageslicht, am besten bei hohem Sonnenstand aus achterlichem Sektor, durch die Atolle navigieren. So sieht man die Untiefen am besten. In der Praxis können nicht immer alle Faktoren berücksichtigt werden, immerhin für unser erstes Atoll geht es auf.
herrlicher Ankerplatz mitten im Atoll
Beim Schnorcheln erkunden wir das bunte marine Leben in der Lagune. Einige Korallen sind weit nach oben gewachsen, küssen beinahe die Wasseroberfläche. Hier wimmelt es von kleinen bunten Rifffischen und jungen Schwarzspitzen-Riffhaien. Letztere schwimmen manchmal so nahe an der Oberfläche, dass man ihre Flossen übers Wasser blitzen sieht.
Korallenriff mit Weihnachtsbaumwürmer | Riesenmuscheln (Mördermuscheln) | Schwarzspitzen-Riffhaie
Motu-Idylle
Rund um das Atoll, auf dem Saumriff, liegen mehrere Motus, also einzelne Inseln. Wir finden einen wunderbaren Ankerplatz bei einem Motu im Südosten von Amanu, wo wir nach Herzenslust schwimmen und schnorcheln und das Eiland entdecken können.
Motu im Südosten von Amanu
Gegen den Pazifik hin erstreckt sich eine Wüste aus grauem, scharfkantigem Korallenschutt. Wellen preschen gegen das Riff. Einen Teil des Ozeanwassers findet seinen Weg zwischen den Korallentrümmern hindurch und bildet zwei mäandernde Bäche, die das Motu seitlich einfassen und kaltes Wasser ins Atoll spülen. «Unser» Motu ist von einem Wald aus Kokospalmen und Gebüschen bewachsen. Tagsüber wuseln Krabben und Einsiedlerkrebse durchs Unterholz, nachts sind unzählige Ratten unterwegs.
Riff an der Aussenseite des Motus, eine Wüste aus Korallenschutt
Wir pflücken Kokosnüsse und lernen endlich, wie man sie effizient öffnet. Wenn man mal weiss, wies geht, reicht ein anständiges Taschenmesser aus. Nützlich ist ausserdem ein Strohhalm, mit dem man das duftige Kokoswasser aus der Nuss schlürfen kann.
So sieht unser ideales Südseeleben aus. Wenn wir vom Erkunden müde sind, sitzen wir im Cockpit und geniessen die herrliche Aussicht. Ich kann Fotos machen und Schreiben. Besser gehts einfach nicht. Wir denken, dass dies der schönste Ankerplatz der Welt ist. Doch nach einigen Tagen lockt uns ein Termin wieder fort.
Kokosnüsse ernten und öffnen
Zu Gast beim Bürgermeister
Amanu ist ein kleines Atoll, das nur von wenigen Segler:innen angelaufen wird. Rund 200 Personen leben in dem Dorf, dass sich gleich beim Pass befindet. Bürgermeister François hat uns zum Mittagessen eingeladen. Es ist nicht ganz einfach zwischen den vielen Korallenköpfen beim Dorf einen geeigneten Ankerplatz zu finden, aber als es einmal geschafft ist, stellen wir fest, dass wir uns an einem noch viel schöneren Ort befinden als zuvor. Ist das denn zu fassen? Das Motu neben uns ist von einem flachen Riff umwachsen, dass im Tageslicht durch die Wasseroberfläche flimmert. Abends geht ein riesiger pfirsichfarbener Vollmond auf und lässt das untiefe Wasser blassblau leuchten.
Das Dorf ist klein, ein solider Hafen mit praktischen Anlegemöglichkeiten für kleine Boote, zwei Kirchen, ein Laden, der einige Trockenwaren, Tiefkühlprodukte und auf Nachfrage auch Eier anbietet. Im Gegensatz zu den Marquesas wächst auf den sandigen Tuamotus wenig. Die Einheimischen scheinen einige Nutzpflanzen in ihren Gärten zu pflegen, ansonsten wird wohl für den Eigenbedarf gefischt. Als Einkommensquellen dient die Kopra-Produktion. Das getrocknete Kokosfleisch wird zur Herstellung von Öl und Kokosraspeln exportiert. Weiter werden Muscheln, Perlen und Blüten für die Herstellung von Schmuck gezüchtet und gesammelt.
Hafen von Amanu | Kirche | kleiner Lebensmittelladen
François empfängt uns zusammen mit seiner Familie auf der gemütlichen Terasse vor seinem Haus. Wir speisen rohen Thunfisch, gebratener Papagaienfisch sowie Randen- und Maissalat, alles gewürzt mit leckeren Saucen.
Ciguatera
Der Fisch schmeckt gut, wir hatten schon länger keinen mehr gegessen. Die Tuamotus sind ein Hochrisikogebiet für die Fischvergiftung Ciguatera. Die Krankheit breitet sich inzwischen auf immer mehr tropische und subtropische Meeresregionen aus, auch die Karibik und sogar das Mittelmeer sind betroffen.
Bei Ciguatera handelt es sich um ein Nervengift, das zunächst zu Taubheitsgefühlen und Kälteempfindlichkeit führt und im schlimmsten Fall tödlich enden kann. Die verantwortlichen Toxine entstehen in Algen, die von kleinen Riffischen gefressen werden. Raubfische reichern durch den Verzehr der belasteten Rifffische ebenfalls Giftstoffe in ihren Körpern an. Dasselbe geschieht mit den Menschen, wenn sie betroffene Raubfische konsumieren. Man vermutet, dass sich die Alge insbesondere in verletzten Korallenriffen ausbreitet. Welche Riffe und Fischarten betroffen sind, variiert je nach Ort, weshalb man sich stets bei den lokalen Fischern erkundigen sollte, was gerade geniessbar ist. Ganz einig sind sich die Fischer aber auch nicht immer.
Raroia und Die Kon Tiki
Raroia, unser nächstes Atoll, hat einen breiten, leichter zugänglichen Pass. Wir verspäten uns und kommen dennoch problemlos hinein, keine Selbstverständlichkeit, wie wir von anderen Booten hören.
An der Ostseite des Atolls landete 1947 die Kon Tiki. Der norwegische Forscher Thor Heyerdahl wollte beweisen, dass Polynesien von Südamerika her besiedelt worden war. Zu diesem Zweck baute er ein Balsaholzfloss nach präkolumbianischen Vorbildern. Zusammen mit fünf weiteren Personen wagte er sich auf dem vierzehn Meter langen Gefährt auf den Pazifik hinaus. Steuern liess es sich nur sehr bedingt. 101 Tage lang trieben sie von der peruanischen Küste aus westwärts bis sie schliesslich die Tuamotus erreichten und das Floss am Riff von Raroia strandete.
Denkmal an die Kon Tiki-Unternehmung
Thor Heyerdahl ging in die Geschichte der Seefahrt ein. Seine These zur Herkunft des polynesischen Volkes wurde allerdings widerlegt. Jüngere DNA-Untersuchungen belegen ebenso wie sprachliche und archäologische Zeugnisse, dass die Inseln von Asien aus besiedelt wurden. Wir besuchen die Bruchlandungsstelle der Kon Tiki, wo eine Gedenktafel aufgestellt worden ist.
Unser Ziel
Den Grossteil unseres Aufenthalts in Raroia verbringen wir an einem Ankerplatz im Nordosten des Atolls, zusammen mit rund fünfzehn anderen Yachten. Alle wettern hier die Starkwindtage ab, die uns Mitte Juni treffen. Es ist sehr gesellig, Kinder spielen am Strand, einige Erwachsene üben sich im Kitesurfen. Abends treffen wir uns zum Lagerfeuer.
ALOY bekommt den besten Ankerplatz, auf einer flachen Sandbank nah am Ufer mit unverstellter Aussicht auf Motu und Lagune. Bei Ebbe können wir neben dem Boot im Wasser stehen. Es ist ideal, um Arbeiten am Rumpf zu erledigen: Unterwasser putzen, den Anstellwinkel der Propellerblätter optimieren. Wenn wir keine Lust mehr auf Arbeiten haben, waten wir an den Strand.
Habe ich schon erwähnt, dass es der schönste Ankerplatz der Welt ist? Die Farbe des Lagune-Wassers variiert je nach Licht und Tiefe von Blastürkis bis Dunkelblau. Der grobe Korallensand hat sich in marmorartigen Mustern abgelagert und bildet flache geschwungene Landzungen. Kleine weisse Möwen fliegen gackernd übers Wasser. Das ist sie also, die «echte» Südsee. Eines Abends, als wir den leuchtend orangen Sonnenuntergang bewundern, wird uns so richtig klar, dass wir an unserem Traumziel angekommen sind. Wird sich von nun an alles nach Heimweg anfühlen?
Kommentar schreiben