
Kaoha (Guten Tag), wir sind auf den Marquesas und damit in Französisch-Polynesien. Zu dem grossräumigen Überseegebiet gehören insgesamt fünf Archipele. Die vierzehn Marquesas-Inseln liegen abgeschieden im Nordosten, rund 300 Seemeilen vom Tuamotu-Archipel und über 800 Seemeilen von Tahiti entfernt, wo sich die Hauptstadt Papeete befindet.
Landkarte von Französisch-Polynesien mit zahllosen kleinen Erhebungen und Inseln, Papeete im Südwesten, Marquesas im Nordosten | Marquesas-Archipel
Landfall auf Hiva Oa
Unser erster Landfall nach der Pazifiküberquerung findet auf der Insel Hiva Oa statt. Ankommen ist berauschend. Nach 32 Tagen auf See ist der schlichte Gang ins Dorf ein Erlebnis, das sich dauerhaft in unser Gedächtnis eingräbt. Der Spaziergang nach Atuona führt drei Kilometer entlang einer kurvigen Strasse und ist an diesem Tag nass und schlammig. Zum Glück habe ich den Regenschirm eingepackt. Bei der Gendarmerie werden wir herzlich willkommen geheissen. Die Polizistin kontrolliert unsere Pässe ohne jeden Beamtendünkel und nach wenigen Minuten sind wir offiziell und kostenlos eingereist.
im Dorfzentrum von Atuona | René vor Gauguins Haus
Als nächstes suchen wir einen Geldautomaten, um Pazifische Francs abzuheben. Dann setzten wir uns in ein Restaurant und bestellen eine ordentliche Mahlzeit, für René den ortsbekannten Mokai-Burger, für mich den Pêche du Jour. Es schmeckt köstlich und wir verputzen die üppige Portion bis auf den letzten Bissen. Mit schweren Bäuchen und fröhlichen Gemütern erkunden wir Atuona und besuchen das Museum, das um das ehemalige Wohnhaus des Künstlers Paul Gauguin errichtet worden ist und Kopien seiner Gemälde sowie einige archäologische Funde ausgestellt hat. Bevor es nach Hause geht, kaufen wir im Supermarkt frisches Baguette.
Kopien von Gauguin-Gemälden
Vulkanisches Meisterwerk
Bereits am folgenden Nachmittag legen wir von Hiva Oa ab und segeln zur kleinen Nachbarinsel Tahuata, wo die Segelyachten SOVMORGON und APNEA auf uns und unsere Lieferung frischer Baguettes warten. Wir sind die einzigen drei Yachten in der von Felsen eingerahmten Bucht. Die Marquesas sind vulkanischen Ursprungs und verhältnismässig jung, so ein bis sechs Millionen Jahre alt. Sie entsprechen nicht dem klassischen Bild von Südsee, wie es manch einer (zum Beispiel mein Ehemann) verinnerlicht hat: Keine flachen weissen Palmenstrände vor glasklarem Türkiswasser, das im Sonnenlicht glitzert!
wolkenverhangene Berge von Fatu Hiva | Tahuata | Ankerbucht vor Tahuata mit SOVMORGON (links), ALOY und APNEA
Bis über tausend Meter hoch ragen die Berggrate aus braunschwarzem Vulkangestein empor, sind stellenweise nur von einem kargen grünen Flaum überwachsen, andernorts üppig bewaldet. Regenwolken sammeln sich an den Gipfeln und lassen die Landschaft düster, geradezu mystisch erscheinen. Nach üppigen Schauern stürzen Wasserfälle die Felswände hinab. Flüsse schwellen an und tragen schlammige Fluten in die Ankerbuchten. Im Gegensatz zu vielen anderen Pazifikinseln haben sich um die Marqueses-Inseln keine Saumriffe gebildet. Die Buchten liegen zum Ozean hin exponiert, der Ankergrund ist tief, die Strandabschnitte sind schmal und steil. Einige der Strände bestehen nur aus braunem Geröll, andere aus dunklem Sand.
WiEdersehen auf Tahuata
Im Westen von Tahuata hat sich Korallensand untergemischt, so dass der einsame Strandabschnitt eine hellbeige Farbe aufweist. Wir bleiben ein paar Tage in der Bucht, beginnen damit ALOY aufzuräumen und zu putzen, machen erste Tauchgänge und verbringen die Abende am Strand. Dort backen wir Schlangenbrot und selbstgefangene Fische über dem Feuer, kratzen Kokosnüsse aus und stossen mit Rum auf unsere Ankunft an.
Grillabende am Strand | René, Mads, Pepe, Ester und Niklas | Aussicht auf Tahuatas Hauptort Vaitahu
Der Hauptort von Tahuata, Vaitahu, liegt weiter südlich, in einer weitläufigen Bucht, wo wir nur mit Mühe ankern. Stürmische Fallböen schiessen die Felshänge hinunter, reissen an der Kette und pfeifen im Rigg. APNEA driftet eines Nachmittags ab, zum Glück zu einem Zeitpunkt als wir gerade wieder alle an Bord unserer Boote sind, so dass Mads und Pepe ihr Boot neu verankern können.
Entlang der Klippen schwimmen Mantas und wir beschliessen, mit ihnen schnorcheln zu gehen. Die Tiere sind alles andere als schüchtern. Ein Manta umkreist mich mehrfach und kommt mir jedes Mal ein Stück näher, so dass ich diejenige bin, die am Ende zurückweicht, um einer Kollision auszuweichen. René muss leider aufs Schnorcheln verzichten, er hat Ohrenschmerzen.
neugieriger Manta
Medizinische Zwischenfälle
Ein gemächlicher Segeltörn bringt uns an die Westküste von Hiva Oa, wo wir allerdings nur eine Nacht bleiben. Renés Ohrenschmerzen verschlimmern sich rapide und wir müssen einen Arzt aufsuchen. Deshalb motoren wir nach Hanaiapa, von wo aus eine Strasse zum Hauptort Atuona führt. Das äusserst hilfsbereite Personal des Medical Centers versichert uns telefonisch, dass wir am kommenden Tag vorbeikommen dürfen und sucht für uns sogar die Telefonnummer eines Taxidiensts heraus. Als wir am Folgetag beizeiten losfahren, sitzt ein weiterer Patient mit im Wagen. Niklas ist in einen Seeigel getreten und sein grosser Zeh ist gespickt mit schwarzen Stacheln, die zerbröseln, sobald man sie herausziehen will.
Ausflüge zu den Tikis
Einmal in Atuona besorgen wir uns einen Mietwagen, um damit die Insel weiter zu erkunden und diverse Besorgungen zu machen. Nicht nur landschaftlich, auch kulturell haben die Inseln Interessantes zu bieten. Man nimmt heute an, dass der Archipel ein wichtiger Ausgangspunkt für die Besiedelung anderer abgelegener Polynesischer Inseln, wie Hawaii, die Osterinseln und Neuseeland war. Wir besuchen den «Tiki souriant», den lächelnden Tiki, der alleine mitten im Wald steht. Es handelt sich um einen skulptural bearbeiteten Stein, der an eine menschliche Figur erinnert. Der Begriff Tiki umfasst mehrere Bedeutungen: der erste Mensch, ein Ahne oder eine Halbgottheit. Über eine lange gewundene Küstenstrasse erreichen wir die archäologische Fundstelle Lipona, wo einige Tikifiguren mit tradierten Stammesoberhäuptern in Verbindung gebracht werden.
Tiki souriant | Küstenstrasse im Nordosten von Hiva Oa | archäologische Fundstelle Lipona
Ich bin fasziniert von den Marquesas und könnte tagelange durch die Gegend streifen. Die geselligen Dörfer und regenfeuchten Wälder, die imposanten Klippen, in welche Wind und Wasser über die Jahrtausende fantasievolle Statuen gemeisselt haben. Sind sie die Vorbilder der ersten Tikis? Der Rest unserer kleinen Segelflotte, der «Tiny Fleet», wie wir sie nennen, möchte möglichst bald weiterziehen. Sie haben genug von den schaukeligen Ankerbuchten und dem Regen und wollen in die «echte» Südsee.
Fantastisch Fatu Hiva
Ein haarsträubender Törn bringt uns zur südlichsten Insel der Marquesas. Erst bolzen wir unter Motor fünf Stunden lang gegen Wind, Welle und Strömung, um das Ostkap von Hiva Oa zu erreichen, dann segeln wir bei fünf Windstärken hart am Wind durch die Nacht. ALOYs Bug taucht mehrfach in den Wellen unter, es knirscht und knarrt und klingt als würde das Boot auseinanderbrechen. Der im Ankerkasten deponierte Müllsack explodiert, so dass ich am nächsten Morgen die Einzelteile aufsammeln darf. Wasser dringt in die frischgeputzte Bilge ein. Selbstverständlich werden wir beide seekrank, es ist ja nicht so, als wären wir eben erst einen Monat auf See gewesen.
Fatu Hiva ist mit einem Alter von gut einer Million Jahren die jüngste der Inseln und unter Segeler:innen berühmt. Die Bucht vor Hanavave sei eine der schönsten der Welt. Unsere Erwartungen sind hoch und werden nicht enttäuscht. Der zerklüftete Berghang wirkt wie ein übergrosser Faltenrock, der über dem Meer schwebt, dort unterspült wird, so dass sich am Saum Höhlen und Löcher bilden, durch welche Wasserfontänen spritzen. Die tausend Meter hohen Gipfel tragen eine Wolkenmütze. Ziegen klettern behände über die Felsen und schliesslich können wir die vier senkrecht aufragenden Felssäulen sehen, die der Bucht einst ihren Namen gaben: Penis-Bucht, von den Christen später keusch in Jungfrauen-Bucht umbenannt.
Faltenrockfels | Jungfrauenbucht vor Hanavave | Wasserfall | Fotos von einer Waldwanderung
Wir unternehmen eine Wanderung zu einem Wasserfall, der sich über eine glatt gewaschene Felswand in ein erfrischendes Süsswasserbecken ergiesst, ein besonderer Badeplatz. Béa und ihre Familie bereiten ein traditionell polynesisches Mittagessen für uns zu, bei dem es im Feuer gebackene Brofrucht, roher und gebratener Fisch, gebratenes Hähnchen, Bananen und hausgemachte Limonade gibt.
Zubereitung der Brotfrucht und des Brotfruchtbreis | Mittagessen mit fünf Crews
Dann heisst es Abschied nehmen. Das Wasser leuchtet in dunklem Türkis und für einmal kleben keine Wolken an den Berggipfeln als wir Fatu Hiva verlassen und einen Am-Wind-Kurs Richtung Tuamotu-Archipel anlegen. Nana, Tschüss.

Kommentar schreiben