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Unendlicher Pazifik

Tag 1, 08°28’ N / 79°56’ W

Es ist soweit! In den letzten Tagen habe ich mich immer wieder an den Aufbruch zur Atlantiküberquerung erinnert. Damals, vor eineinhalb Jahren, waren wir schrecklich aufgeregt, hofften inständig, dass unser Segelboot ausreichend seetüchtig ist. Dieses Mal verlaufen die Vorbereitungen gelassener. Wir haben eine Vorstellung davon, was uns erwartet und Vertrauen in uns und ALOY. Trotzdem, als wir den Steg betreten, überkommt mich ein Schauer.

4'000 Seemeilen sind unglaublich weit und auch bei guter Vorbereitung kann vieles schief gehen. Dankbar, dass wir die Reise zu zweit antreten, klettern wir zurück an Bord. Der Motor wird gestartet, dann löst René nach und nach die Leinen, springt zurück an Deck und ich steuere uns aus dem Hafen.

Panama verschwindet am östlichen Horizont

Ein wechselhafter Ostwind schiebt uns durch die Nacht, erst durch küstennahes Flachwasser, dann über die kabbeligen Tide Rips beim Punta Mala Kap. Die ersten tausend Seemeilen bis Galapagos werden voraussichtlich von Flauten begleitet sein. Erst südwestlich jener Inseln setzt der Passat ein.

Tölpel auf Reisen

Tag 4, 03°26' N / 81°47' W

Erst ist es nur einer, dann kommen immer mehr. Seevögel nutzen ALOY als schwimmende Raststätte, die idealerweise kostenlos mitten in ihrem Fanggebiet zur Verfügung steht. Dank meiner hervorragenden und von René reichlich kritisierten Bordbibliothek finden wir heraus, dass es sich um junge Rotfusstölpel handelt, die auf Galapagos heimisch sind. Ein einziges Mal lässt sich auch ein erwachsenes Tier auf ALOY nieder, erkennbar an dem weissen Gefieder.

Junge Rotfusstölpel | mehr junge Rotfusstölpel | noch mehr junge Rotfusstölpel

Die Tölpel krallen sich mit ihren Patschefüssen an der Reling fest. Einige wollen auch auf den Solarpanelen landen, aber René vertreibt sie fuchtelnd und zetternd, wann immer er sie erwischt. Sie kacken alles voll. Das Deck, die Segel und eben auch die Panels, die deswegen keinen Strom mehr liefern. Wir sind nicht besonders scharf darauf, bei Seegang auf den Geräteträger zu klettern. Das Landen der Vögel ist ein lautstarkes Spektakel. Jedes Mal wenn sich ein weiteres Tier einquartieren will, protestieren die Eingesessenen. Der neue Jungvogel muss mehrfach anfliegen und die anderen Tiere beiseite rempeln, bis diese ein Einsehen haben und Platz machen. Wir zählen bis zu vierzehn Gäste. Morgens und abends gehen sie auf Fischfang.

zankende Tölpel | erwachsenes Exemplar

Vorsicht unappetitlich

Tag 9, 01°10’ Nord / 88°36’ West

Wir befinden uns inzwischen nördlich der Galapagosinseln. Während der letzten Tage hat der Südwestwind unseren ursprünglichen Plan, südlich an der Inselgruppe vorbeizufahren, fortgeweht. Zwei uns bekannte Crews, die finnische SOVMORGON und die deutsche APNEA halten an der Südroute fest und nehmen den Motor zu Hilfe, um gegen den Wind anzukommen. Uns kommt die vor uns liegende Flaute im Norden gerade recht, denn wir benötigen ruhiges Wasser für eine Reparatur. Die Toilette ist verstopft, der Schwarzwassertank lenzt bereits über das Entlüftungsloch, und das Problem lässt sich nicht vom Boot aus lösen. Jemand muss ins Wasser.

Flaute nördlich von Galapagos

Nach einigem hin und her Überlegen entschliessen wir uns, die Saite, die zum Einziehen der Elektrokabel in Rohre dient, durch das System zu ziehen. René, der von uns beiden deutlich besser taucht, schnappt sich ein Ende der Saite und springt ins Wasser. Mit angehaltener Luft sucht er unter dem Rumpf den richtigen Borddurchlass und steckt die Saite hinein. Nachdem ein erster kleiner Durchgang geschaffen ist, können wir die Saite beim zweiten Anlauf von oben her durch Tank und Rohre einführen. Wir müssen den Draht mehrfach durch das System ziehen, teilweise mit einem daran fixierten Lappen, bis der Durchgang endlich wieder frei ist und der Tankinhalt abfliesst. Während René die Saite von oben durchstösst, ziehe ich im Wasser nach.

Beim vorletzten Versuch taucht eine Flosse neben ALOY auf. Intuitiv halte ich Ausschau nach Delfinen, aber da keine weitere Flosse auftaucht, denke ich über Alternativen nach.

«René, ein Hai. Ich kann nicht ins Wasser!»

«Die meisten Haie sind harmlos!»

«Pah!»

Die Flosse ist so rasch verschwunden, wie sie aufgetaucht ist. Dann dreht das wahrhaft grosse Tier eine Runde an ALOYs Heck vorbei und ich erkenne, dass es sich um einen Mantarochen handelt. Wahnsinn! Auf mein erneutes Rufen «Manta! Es ist ein Manta!» stürzt René herbei und wir bewundern den stattlichen Besucher. Fürs Foto mag er leider nicht bleiben. Nach dem der Besucher davon gezogen ist, kann die Operation Bordtoilette erfolgreich abgeschlossen werden.

Unheimliche See

Tag 18, 05°31' S / 107°19' W

Inzwischen haben wir die flaue Innertropische Konvergenzzone verlassen und der Passat wartet auf. Vom Atlantik her haben wir den Ostpassat als angenehmen und konstanten achterlichen Wind in Erinnerung. Der Ozeanschwell betrug zwei bis drei Meter und rollte langsam an, sodass ALOY gemütlich durch sonnenbeschienenes Tiefblau rollte. Der Pazifik scheint nichts für Verwöhnte zu sein. Kaum erreichen wir den Passatgrütel, ziehen die ersten Squalls auf, dicke Wolkenbänder, die Windböen und Regen bringen. Gemeinerweise beginnt der tägliche Squallmaraton stets pünktlich beim Wachwechsel auf meine Schicht. René kriecht in die Koje und ich darf im strömenden Regen Segel reffen, nach Durchzug der Böen die Flaute aussitzen und die zusammengesackte Genua zeukeln. Nach kurzer Rast geht das Spiel von vorne los.

Regenwolken | Squall

Heute Morgen tobt ein besonders schlimmes Ungetüm. Ich bin schon total kaputt von der anstrengenden Nacht und dieser Squall will einfach nicht enden. Die kräftigen Böen versetzen das Vorliek des gerefften Grosssegels in Schwingung und lassen das ganze Rigg vibrieren. Im Salon tropft Wasser durch ein unsichtbares Loch in der Decke. Die See wäscht lautstark am unisolierten Alurumpf vorbei. Es rauscht und strömt und gluckert als sässen wir in einer Waschmaschine und hin und wieder klingt es, als würden Stimmen aus der endlosen schwarzen See nach uns rufen, unheimlich.

Täglich grüsst der Ozean

Tag 25, 08°38’ S / 122°54’ W

Wir verzeichnen keinen Squall. Endlich wird der Wind konstanter. In den kommenden Tagen erfahren wir, dass es den Pazifik auch in Farbe gibt. Tatsächlich kann er genauso tiefblau leuchten wie der Nachbarozean. Die weissen Schaumkronen glitzern dann wie frischer Schnee. Eine lange konstante Welle baut sich hingegen nicht auf. Über die gesamte Passatetappe rollen die Wellen gleichzeitig aus zwei Richtungen an, aus Süd und aus Südost. Zwischen zwei Wellenkämmen zähle ich kaum vier Sekunden. Auf diese Art ist auch niedriger Seegang anstrengend. René jedenfalls hadert bis zuletzt mit der Seekrankheit. Der Plan, nach einer guten Woche Eingewöhnung die Medikamente abzusetzen, geht nicht auf. Die Südsee rückt näher, es wird wieder wärmer, und René greift immer noch zum Dimenhydrinat. Er liegt viel, kann problemlos Wache halten und beim Segelsetzten und Reffen helfen. Arbeiten unter Deck fallen ihm hingegen schwer. So fällt die Aufgabe des Kochens erneut mir zu. Auch kümmere ich mich ums Logbuch, die Wetterberichte und Deckskontrollen.

Arbeit an den Segeln

Ankunft

Tag 31, 09°58' S / 138°27' W

Unter den Wolken zeichnet sich ein dunkelblauer Schatten am Horizont ab. Erst sind wir noch unsicher, ob es sich nicht um eine optische Täuschung handelt, aber bald ist klar: wir sehen eine Insel! Das Empfangskomitee, eine Schule Delfine, rückt an und tanzt um ALOYs Bug. Einzelne Tiere springen übermütig aus dem Wasser. Ich setze mich in den Bugkorb und geniesse das Spektakel in vollen Zügen. Die steilen Vulkanfelsen im Westen wachsen derweil in die Höhe. Dicht bewaldete grüne Abhänge und schroffe braune Felsen werden erkennbar. Der Mont Temetiu, der über Hiva Oas Hauptstadt aufragt, ist von einer Wolke bedeckt.

Delfine vor Hiva Oa

Der Hafen von Atuona ist unter Segler:innen nicht besonders beliebt. Weil sich die Bucht auf der Luvseite der Insel befindet, dringt Schwell hinein. Ein Fluss schwemmt braunen Schlamm und Treibholz durch den Ankerplatz. Einklarieren und weiterziehen raten die meisten. Wir suchen uns ein Plätzli im hintersten Winkel der Bucht und finden es überraschend komfortabel. Zwar ist es etwas rollig und der Abstand zu den Nachbaryachten unterschreitet die Lehrbuchvorgaben, aber nach der langen Überfahrt sind wir anspruchslos. Der Anker greift beim ersten Versuch, wir schalten den Motor aus. Die Geräuschkulisse verklingt zu einem leisen Gluckern und dem Krähen der Hähne. Als wenig später die Sonne hinterm Horizont versinkt, verstummen die Vögel. Meine Ohren müssen sich erst an die Stille gewöhnen, ich kann sie gar nicht richtig hören. Der würzige Geruch des Regenwalds hüllt uns ein.

Hafen von Atuona, Hiva Oa

Pazifiküberquerung vom 11.04. bis zum 12.05.2025. 32 Tage, 4'039 zurückgelegte Seemeilen. Wir sind dankbar für die sichere Überfahrt.

 

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Kommentare: 1
  • #1

    Haunis (Mittwoch, 21 Mai 2025 10:53)

    Eindrücklich!