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Biskaya-Übel

350 Seemeilen liegen vor uns. Wir wollen von Camaret-sur-Mer in Frankreich direkt nach A Coruña in Spanien segeln. Das erspart uns die Etappen entlang der anspruchsvollen französischen Westküste und bringt uns stattdessen durch sicheres, tiefes Wasser rasch in den Süden. Nach einigem Hin- und her-Überlegen entscheiden wir uns, den Törn zu viert anzutreten. Ein Bericht:

 

Tag 1

 

25. August, 48°17’ Nord / 4°36’ West

Bei leicht bewölktem, aber ansonsten gutem Wetter brechen wir auf, segeln entlang der steilen Klippen vor Camaret bis wir schliesslich nach Süden abbiegen können. Der Wind ist eher schwach, dafür die Strömung stark und mit uns. Vier Stunden nach Aufbruch liegt der Leuchtturm La Plat quer ab, wenig später lassen wir die Küste ganz hinter uns.

 

Es wird Nacht. Die ganze Crew ist seekrank. Scheisse, warum vergesse ich jedes Mal was für ein elendes Gefühl das ist. Statt von der Seite, wie in der Wettervorhersage angekündigt, kommt der Wind von schräg vorn. Christian und ich raffen uns auf und setzen die Kreuzfock, damit wir härter am Wind segeln können. Um bei auffrischendem Wind keine bösen Überraschungen zu erleben, reffen wir das Grosssegel zwei Mal und bergen die Genua ganz. Die See ist nicht hoch, aber dafür kommen die Wellen von drei Seiten gleichzeitig. ALOY stampft sich in dem Kreuzgewell hoffnungslos fest. Mit knapp drei Knoten Fahrt taumeln wir voran. Der am Nachmittag aufgestellte Wachplan ist ausser Kraft gesetzt: Crewmitglieder nicht einsatzfähig. Fortan hält Wache, wer es gerade so schafft oder wer vor lauter Seekrankheit ohnehin nicht unter Deck kann. 

 

Christian und Lukas richten sich zum Schlafen im Salon ein, wo es weniger schaukeln soll. Dann stürzt René von seiner Koje ins Bad und kotzt sich geräuschvoll die Seele aus dem Leib. Bleich kriecht Christian wieder an Deck, wo er die nächsten 24 Stunden bleiben wird. Erschöpft kauert er sich auf dem Cockpitboden zusammen und wir opfern eine Bettdecke der Salzluft, um ihn wenigstens zuzudecken.

Sollen wir umkehren? Aber dann müssen wir da nochmal durch. Jedem geht dieser Gedanke durch den Kopf, keiner spricht ihn aus. Wir segeln weiter. Mein Entschluss steht dennoch fest: Sobald wir in A Coruña sind, verkaufen wir den Kahn und suchen ein neues Hobby! 

Tag 2

Der erste und einzige Logbuch-Eintrag dieses Tages gibt unsere Position um 14:39 Uhr bekannt: 46°42’ Nord / 5°35’ West. Mit dem Wachplan ist auch das Führen des Logbuches über Bord gegangen. Welch miese Seemannschaft! Aber Schreiben, wenn man so seekrank ist... da mag man nicht mal dran denken.

 

René liegt den ganzen Tag über in der Koje. Christian verlässt das Cockpit nicht. Lukas und ich haben ein wenig geschlafen. Ich habe irgendwann den idealen Schlafplatz für mich entdeckt: zwischen Salontisch und Bank auf dem Fussboden. In vollem Ölzeug, mit Mütze und Seestiefel habe ich mich dort auf ein paar Polster gelegt. Ausziehen war keine Option, zu übelkeitserregend. Immerhin, schlafen hat gutgetan. 

 

Bis zum Abend schaffe ich es, drei Scheiben Schiffszwieback zu knabbern. René erbricht seine Portion sofort wieder. Lukas bringt es sogar fertig, für sich und seinen Bruder Reis zu kochen. Dass er dafür Zwiebeln andünstet, bringt mich an meine Kotzgrenze. 

Unsere beiden Gast-Crewmitglieder – ihre restlichen Seemeilen hätten sie nun wirklich auf angenehmere Weise sammeln können – entwickeln eine neue Strategie: Möglichst viel Segel, damit wir möglichst rasch ankommen. Die Genua wird wieder ausgerollt und zwar immer so weit, wie es Wind und Krängung maximal zulassen, beziehungsweise ich, weil ich irgendwann, in Sorge um unser Rigg oder weil Dinge im Boot herumfliegen, Einhalt gebiete. 

 

Die Wellen haben sich inzwischen auch auf eine Richtung geeinigt und so fliegen wir mit bis zu 9 Knoten Fahrt in Richtung Spanien.

Es ist Nacht. Christian hat es endlich unter Deck geschafft, wo er sich aufwärmt. Ich halte Wache. Von Steuerbord schäumen phosphoreszierende Wellenkäme daher, über mir erstreckt sich der Sternenhimmel in einer Klarheit, wie man ihn nur weit ab menschlicher Siedlungen sieht. Sternschnuppen fallen. Ich werde mir das mit dem Bootsverkauf noch einmal überlegen. 

Tag 3

Meinen Logbucheintrag schaffe ich heute schon morgens um 10 Uhr: 44°56’ Nord / 7°12’ West. Spanien wir kommen. Ich koche Porridge für uns alle, später am Tag sogar ein paar Nudeln, 250 Gramm für vier Erwachsene. Wir schaffen noch nicht alles auf einmal. Christian und Lukas scheinen sich immer dann von ihrer Seekrankheit zu erholen, wenn sie zu zweit Segel trimmen dürfen. Das ist wohl die wahre Regatta-Segler-Seele. Praktisch für uns, denn wir kommen rasch voran. 

 

Während wir uns der Küste nähern, werden die Wellen kleiner. René schafft es aus seiner Koje und schnuppert frische Luft. «Wie lange geht’s noch?» Gegen Abend ist es dann soweit: Land in Sicht! Geduld ist trotzdem angesagt. Noch bis weit nach Mitternacht dauert es, bis wir endlich vor A Coruña segeln. Schliesslich dreht der Wind und wir müssen noch geschlagene zwei Stunden Motoren.  

 

Tag 4

28. August, 05:16 Uhr: Leinen fest in der Marina A Coruña. Puh! 

Der römische Torres de Hercules ist das Wahrzeichen der Stadt A Coruña und zugleich das älteste funktionierende Leuchtfeuer der Welt.